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Erfahrungen eines Kita-Erziehers

Grafik "Autismus er-leben"

Berufseinstieg als Erzieher (im Autismus-Spektrum)

Menschen im Autismus-Spektrum streben mit ihren speziellen Fähigkeiten und Begabungen oft in die IT-Branche. Dass dieses Schubladendenken in der Praxis nicht immer greift, zeigt dieses Beispiel. Im Falle von Robin Pütz fiel die Berufswahl nämlich völlig anders aus: Er entschied sich für den sozialen Bereich, was eher ungewöhnlich und gleichzeitig förderungswürdig ist. Denn ein junger Mitarbeiter kann in diesem Kontext seine eigenen Erfahrungen als Betroffener aus dem Autismus-Spektrum einbringen, die ihn umso mehr für die Arbeit mit neurodiversen Kindern qualifizieren.

Als ausgebildeter Erzieher aus dem Autismus-Spektrum möchte er in einer ganz normalen Kita Kinder unterstützen und fördern, die wie er neurodivers sind. Als professionelle Fachkraft hat er gleichzeitig aber auch einen kritischen Blick auf die pädagogische Arbeit mit ihren Förderansätzen und auf deren konkrete Umsetzung in der Kita.

Erste Erfahrungen und erste Ernüchterungen

„Seit ich begonnen habe, diesen Weg zu gehen, hatte ich das Privileg, einige neurodiverse Kinder und Jugendliche kennenlernen zu dürfen. ASS, AD(H)S, Hochbegabung und auch einige Kombinationen davon waren allesamt vertreten. Leider kann ich nicht sagen, dass sich diese Kinder, was Institutionen wie Schulen, Kitas oder Heimgruppen betrifft, in guten Händen befinden.“

Abgestempelt als „schwierig, unempathisch, verhaltensauffällig“

Wie werden Kinder im Autismus-Spektrum oder mit anderen neurodiversen Besonderheiten wahrgenommen? Sie fallen mit ungewöhnlichem Verhalten auf, zeigen Verhaltensreaktionen extremer Unruhe oder erscheinen auf ihr Umfeld teilnahmslos oder apathisch. Sie lassen sich nicht so gut in die Gruppe integrieren, brauchen mehr Aufmerksamkeit, etwas anderes, um beschäftigt zu sein. Oft eine Herausforderung im Kita-Alltag mit einem dünnen Personalschlüssel.

„Bekäme ich einen Euro für jedes Mal, wo mir ein betroffenes Kind als empathielos oder ähnliches beschrieben wurde, würde ich zwar nicht reich, aber es geschieht trotzdem viel zu oft. Sobald ein Eindruck wie dieser einmal entstanden ist, werden auch gerne alle Anzeichen, die dem widersprechen, ignoriert. Unerwartete Reaktionen werden fehlinterpretiert. Egal wie sehr man sich Inklusion auf die Fahne schreibt, diese Grundhaltung untergräbt alle anderen Bemühungen. Und natürlich geht es auch an mir nicht spurlos vorbei, wenn ein Kind so beschrieben wird, weil ich leider genau weiß, dass es auch bei mir so hätte laufen können, wären meine Rahmenbedingungen damals etwas weniger günstig gewesen.“

Bindungen schaffen durch Betroffene

Damit Kinder mit neurodiversen Besonderheiten nicht im Abseits stehenbleiben und die Chance bekommen, sich weiterzuentwickeln, ist der Aufbau einer stabilen Bindung zu den Betreuern besonders wichtig und wertvoll. Wer könnte dies besser als jemand, der selbst Autismus, AD(H)S, Hochbegabung oder Hochsensibilität aus eigener Erfahrung kennt und sich deshalb so gut in die Welt und die Bedürfnisse neurodiverser Kinder einfühlen kann? Kommt nicht gerade solchen Fachkräften eine wichtige Rolle als „Mittler“ und gleichzeitig als „Anker“ in der Welt der „normalen“ Erwachsenen zu?

„Ich weiß nicht, ob es durch meine eigene Platzierung aus dem Spektrum bedingt ist, aber in meinem Leben habe ich immer wieder (das erste Mal, als ich noch selbst Kita-Kind war) die Fähigkeit bewiesen, Bindungen zu „schwierigen“ Kindern aufzubauen, an denen die Kollegen abprallten. In einer Zeit, in der immer mehr Kinder als „verhaltensauffällig“ bezeichnet werden, würde man meinen, dies wäre eine sehr nützliche Fähigkeit. Und sie wird auch von einigen Kolleginnen und Vorgesetzten geschätzt. Aber wenn es hart auf hart kommt, hält man es für den täglichen Ablauf am Ende doch für wichtiger, dass das wöchentliche Bastelangebot durchgeplant wird.

Nach meiner Erfahrung setzen sich die Trends, die sich im Umgang mit neurodiversen Kindern abzeichnen, beim Umgang mit neurodiversen Erwachsenen meist nahtlos fort. Und auch wenn es vielleicht arrogant klingt, bräuchten wir eigentlich genau deshalb mehr Menschen wie mich in diesen Berufen.“

Inklusion von neurodiversen Fachkräften

Viele Berufsfelder würden von neurodiversen Mitarbeitenden profitieren – psychosoziale Berufe dringend eingebunden. Vielfalt in Wahrnehmung, Perspektive, Herangehensweise und Planung kann nur bereichernd sein. Für viele Menschen aus dem autistischen Spektrum ist es auf Grund von Rahmenbedingungen viel herausfordernder, manchmal auch unmöglich, im Beruf ihrer Wahl Fuß zu fassen. Ihre Fähigkeiten und ihr Kompetenzprofil ebenso wie ihr Engagement sind i.d.R. keine Hinderungsgründe.

Um verstärkt auf die Potenziale von neurodiversen Menschen hinzuweisen, hat die Bereichsleitung der Dualen Autismus- und Familientherapie Miriam Vogt u.a. einen YouTube-Kanal mit dem Titel „Autismus. Anders? Aus gutem Grund!“ eröffnet. Hier geht sie auf Einzelaspekte zum besonderen Verhalten und der Wahrnehmung von Menschen im Autismus-Spektrum ein. Außerdem bietet sie Fortbildungen für Institutionen an.

Weitere Informationen unter https://www.zephir-ggmbh.de/beratung-therapie/autismusberatung-und-therapie/