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Mein Kind ist aber schon viel weiter!

Grafik "Autismus er-leben"

Eltern und ihre Kinder im Entwicklungswettbewerb

Wer gerade Mutter, Vater, Eltern geworden ist, erlebt gleich beim ersten Kontakt mit anderen jungen Eltern mit Baby ausführliche Vergleiche. „Meiner kann sich schon drehen und wird sicher bald krabbeln. Und Deiner?“ Die Entwicklungsstadien eines Kindes und die Geschwindigkeit, mit der sie erreicht werden, werden zum Wettbewerb unter den Eltern. Vergleiche hinken immer, weil die Voraussetzungen oft unterschiedlich sind. Jeder Mensch ist einzigartig und so auch seine Entwicklung.

Für Eltern mit Kindern aus dem Spektrum ist die Situation besonders nervenaufreibend und auf Dauer auch belastend. In vielen Fällen müssen sie eingestehen, dass ihr Kind noch nicht so weit ist wie andere. Und das nicht nur in einer „Wettbewerbsdisziplin“, sondern meistens gleich in mehreren – ein „Makel“, der einerseits Stolz, anderseits bedauernde Blicke bei den anderen Eltern hervorruft.

Und wir sagen: Bleiben Sie cool! Versuchen Sie, sich und Ihrem Kind zuliebe gelassener zu bleiben. Manchmal zählt nicht, was das Kind als Erstes sagt, sondern dass es einen Weg in die Kommunikation findet. Oft spielt auch keine Rolle, wann es angefangen hat zu laufen, sondern dass es sich ohne zu große Eigengefährung an einem Ort autark bewegen kann. Wie viel Obst es schon isst? Manche Eltern sind froh, wenn die Nahrung einigermaßen ausgewogen ist und sich nicht nur auf knusprige Snacks beschränkt. Geben Sie sich und ihrem Kind Zeit und den individuellen Rahmen, haben Sie Vertrauen. Ihr Kind allein bestimmt das Tempo und wird seine Entwicklungsschritte machen. Und bis dahin können Sie – wenn möglich – für schöne gemeinsame Erfahrungen sorgen, die Sie und Ihr Kind stärken.

Nur ein Beispiel: „Sauber werden“

Beliebtes und zentrales Thema ist in den ersten Lebensjahren das „Sauber werden“. Ihre Gedanken und Erfahrungen dazu schickte uns die Mutter vom „Pimpf“:

„Also, meiner ist, seitdem er ein Jahr alt ist, trocken – auch nachts!“
„Meine ist ganz plötzlich ganz alleine trocken geworden.“
„Wir haben das ganz genau geübt und einen Wecker gestellt!“

Kennt ihr alle, oder? Diesen super spannenden Wettkampf, welches Kind als Erstes wie schnell keine Windel mehr brauchte und überhaupt sich schon alleine anziehen kann und daran denkt, die Hände mit Seife zu waschen! Mal ehrlich, meine liebste Antwort darauf ist meistens: „Oh, wow! Habt ihr die letzte Windel dann mit Datum versehen und gerahmt?“ Dicht gefolgt von: „Wow, mega. Und meiner hat heute fröhlich singend in die Badewanne gepinkelt, bevor ich ihm ‘ne Windel für nachts umgemacht hab.“

Ich frag mich da immer, was soll das? Ich meine, klar sind wir als Eltern stolz wie Bolle auf jeden noch so klitzekleinen Fortschritt/Erfolg unserer Kinder – aber interessiert es eigentlich irgendwen und wie wichtig ist es tatsächlich? Mal Hand aufs Herz: Abgesehen davon, dass es so egal ist, wann wer wie oft oder nicht oft seinen Bedürfnissen der Blasentleerung nachgeht, wie würdet ihr euch denn als Erwachsene fühlen, wenn darüber mit anderen geredet würde?

„Sauber werden“ – wer, wann, wie

Das Thema „Sauber werden“ (meiner Meinung nach übrigens auch eine fragwürdige Bezeichnung) ist seit Generationen DAS Thema überhaupt bei Eltern, ich weiß. Aber irgendwie scheint es bei Eltern von Kindern im Spektrum nochmal besonders spannend und wichtig zu sein.

Aber warum? Gewinnt irgendwer einen Preis, weil mein 12-Jähriger Pimpf mitten im Regionalzug den anderen Fahrgästen mitteilte, dass er keine Windel hat und jetzt Pipi muss (und es auch tatsächlich rechtzeitig geschafft hat)? Oder muss irgendwer Buße tun, weil selbiger Pimpf munter singend in einer riesigen Pipipfütze saß und nichts davon gemerkt hat?

Es ist doch so egal!

Die Antwort ist schlicht und ergreifend, dass es absolut keine Rolle spielt und echt vollkommen egal ist. Keine Gala mit Preisverleihung, keine Bestrafung. Stattdessen entweder einen Haufen Wäsche und eine hübsche Wasserrechnung oder ein Berg an Windeln – oder auch einfach ganz persönliche kleine Erfolgserlebnisse eurer Kinder.

Leute, ganz frei gesprochen: Wenn wir mit Kindern im Spektrum leben, haben wir da nicht ganz andere Sorgen, als die, ob und wann jetzt eine Windel oder auch nicht gebraucht wird? Ich hab jetzt auch nicht die Weisheit mit meinem morgendlichen Kaffee getrunken, aber eines hab ich in den letzten fast zwölf Jahren gelernt: kein Stress, hab Vertrauen in den Pimpf, der macht das schon in seinem Tempo und nach seinen Bedürfnissen – so, wie alles im Leben. Und ich bin einfach „nur“ dazu da, um die Pompons zu schwingen und ihn auf seinem Weg zu unterstützen und auch bei Rückschlägen oder Enttäuschungen zu trösten! Nicht mehr und nicht weniger.

Am Ende schreibt garantiert keiner auf meinen Grabstein: „Frohlocket! Ihr Pimpf war mit 12 trocken – auch nachts!“ Und ich werde ihm das garantiert auch nicht auf die Karte zu seinem 18. schreiben: „Glückwunsch, du bist jetzt volljährig und seit einigen Jahren windelfrei!“

Also, bleibt entspannt, lasst das mal eure Kinder machen! Und falls es euch nervt, dass ihr vielleicht einmal mehr als andere irgendwo was reinigen müsst: Es ist nie zu früh oder zu spät, den Kids zu zeigen, wie man einen Wischlappen benutzt.

Duale Autismus- und Familientherapie und Elterntreff bei Zephir gGmbH

Zephir gGmbH bietet für Kinder im Autismus-Spektrum und ihre Eltern/Angehörigen eine „Duale Autismus- und Familientherapie“. Alle sechs bis acht Wochen veranstalten wir außerdem einen „Elterntreff“, bei dem sich Eltern/Angehörige von Kindern im Autismus-Spektrum untereinander austauschen und gegenseitig unterstützen können. Sprechen Sie uns bei Interesse gerne an.

Ansprechpartnerin:
Miriam Vogt (Bereichsleitung), Tel.: 0159 – 06 14 52 81 oder vogt@zephir-ggmbh.de