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Ein ständiger Kampf mit dem System

Grafik "Autismus er-leben"

Endlich wieder Mensch unter Menschen sein dürfen

Wie können Menschen im Autismus-Spektrum ihren Platz in und nicht außerhalb der Gesellschaft finden? Wie werden sie Teil unseres Systems, das seine eigenen Werte und Regeln hat, die so wenig zu einem Leben im Autismus-Spektrum passen? Wieso wird ihren autismusbedingten Defiziten so viel mehr Bedeutung beigemessen als den Stärken? Hat denn nicht jeder Mensch Dinge, die er besser oder schlechter kann?

Eltern mit Kindern aus dem Autismus-Spektrum machen wenig gute Erfahrungen, wenn sie versuchen, ihrem Kind einen passenden und positiven Lebensweg zu ermöglichen. Es ist ein Weg mit Hürden, die mit unermüdlichem Einsatz und viel Kraft überwunden werden müssen. In der Auseinandersetzung mit Institutionen und Ämtern mutet dies wie ein Kampf an, der nicht zu enden scheint und vielleicht auch ein aussichtsloser ist. Es wird den Eltern nichts geschenkt, sondern sehr viel abverlangt. Und das kann sehr frustrierend sein.

Die Mutter eines Kindes aus dem Autismus-Spektrum schreibt in unserer Reihe „Autismus er-leben“ offen über ihre Gedanken, das innere Ringen mit den Herausforderungen und die Suche nach einem „Aus-Weg“.

Autismus, wir, ihr, ich und es

Was empfinden Eltern, wenn sie gespiegelt bekommen, dass aufgrund des Auftretens ihres Kindes, das ganze familiäre System in Frage gestellt wird? Was empfinden Eltern, wenn sie wieder einmal nach einem neuen KiTa- oder Schulplatz für Ihr Kind suchen müssen? Was empfinden Eltern, wenn sie ihr eigenes Leben nicht mehr leben können, weil sie die Betreuungs- und Bildungslücken aus eigener Kraft kompensieren müssen. Was empfinden Eltern, wenn Ämter, Ärzte oder Vertreter des Landesverbands ihr Kind nur in Abweichungen und Defiziten wahrnehmen und beschreiben? Was empfinden Eltern, wenn ihrem Kind eine exklusive schulische Zukunft als einzig richtiger Weg empfohlen wird?

Für mich fühlt sich das Leben nur noch wie ein Kampf an. Ein Kampf, der mir nur kurze Verschnaufpausen verschafft. Die Energie geht mir aus. Und am meisten macht mir Angst, dass ich bald keine Kraft mehr für mein Kind haben werde. Also rufe ich heute so viele Menschen wie möglich an, in der Hoffnung, dass irgendjemand mir einen Ausweg zeigt, mein Inneres wieder mit etwas Zuversicht erhellt. Alle reagieren verständnisvoll, aber niemand von denen, die es nicht selbst erlebt haben, erkennt die Dimension und vermag es, mich aufzufangen. Und von denen, die die Dimension kennen, höre ich, „Dann hatten wir mal Glück gehabt…“ oder „Am Ende mussten wir uns damit abfinden“.

Und jetzt sitze ich hier im Dunkeln und höre zu, wie Nils Frahm mit zwei Toilettenbürsten und zwei Pianos sein Londoner Publikum in Bann hält, und frage mich, welchen Weg ich von hier aus weitergehen werde? Wie soll ich mit dem System und mit der Leistungsgesellschaft umgehen, die keinen Platz für mein Kind hat? Kann ich die Gegenwart und die Zukunft einfach loslassen? Wird mein Kind, wie ich selbst, seinen eigenen Weg gehen und daraus wachsen und sein Glück finden?

Ich erinnere mich an die Mutter von Temple Grandin, die sich unentwegt um ein passendes Entwicklungsumfeld für ihr Kind bemüht hat. Das war ihre Lösung und trotz der Herausforderungen am Ende eine gute für ihr Kind.

Ich erinnere mich an meinen Aufenthalt an einer Sprachheilschule und an meine Klassenlehrerin, die sich so sehr wünschte, ein eigenes Kind zu bekommen, was ihr jedoch aufgrund einer hormonellen Erkrankung verwehrt blieb, und daran wieviel Zuwendung diese Lehrerin in mich, statt in ihre eigenen Nachkommen fließen ließ.

Ich erinnere mich an eine Freundin, die nie in den gesellschaftlich vorgeschriebenen Lebensbahnen Fuß fassen konnte und dennoch über die Jahre hinweg feste, wunderbare Inseln für sich und ihre Kunst gefunden hat.

Ich erinnere mich, mit was für einer Naivität ich damals als Oberschülerin annahm, dass die Menschen, die nebenan in den Werkstätten arbeiteten, Teil der gleichen Gesellschaft sind, wie ich.

Vielleicht besteht mein vor mir liegender Weg darin, Menschen zu suchen, die Energie mit uns teilen wollen. Vielleicht muss ich mich erst einmal von dem System und den Werten, die mir durch dieses vermittelt wurden, lösen, um ihnen die Macht über uns zu nehmen. Vielleicht ist am Ende das die Erkenntnis, die uns zu dem Ort führt, an dem wir wieder Mensch unter Menschen sein dürfen.

Aus dem Augenwinkel betrachte ich Nils Frahm, wie sich sein ganzer Körper im Video nun auf den Höhepunkt des Stücks zubewegt. Dankbar, dass er meinen inneren Kampf für mich zu Ende kämpft und ihn in seiner Vielfalt von Tönen auflöst, lehne ich mich zurück.

Duale Autismus- und Familientherapie und Elterntreff bei Zephir gGmbH

Zephir gGmbH bietet für Kinder im Autismus-Spektrum und ihre Eltern/Angehörigen eine „Duale Autismus- und Familientherapie“. Alle sechs bis acht Wochen veranstalten wir außerdem einen Elterntreff, bei dem sich Eltern/Angehörige von Kindern im Autismus-Spektrum untereinander austauschen und gegenseitig unterstützen können. Sprechen Sie uns bei Interesse gerne an.

Ansprechpartnerin:
Miriam Vogt (Bereichsleitung), Tel.: 0159 – 06 14 52 81 oder vogt@zephir-ggmbh.de